Epochen
des Strafrechts
4.
Abschnitt – Epoche der Rezeption
A. Das rezipierte Recht (Grundlagen
und Voraussetzungen)
I.
Corpus iuris
II.
Bambergensis und Carolina
III.
Ziel der Rezeptionsgesetze
IV.
Neue Sicht des Landesfürsten
V.
Idee der Gerechtigkeit
B. Das rezipierte Gedankengut
I.
Materielles Recht
- Straftatbestände
- Die allgemeinen strafrechtlichen Fragen
• Schuldprinzip
• Versuch
• Mitwirkung mehrerer
• Rechtfertigung und
Entschuldigung
II. Prozessuales Recht
- Wormser Reformation
- Bambergensis und Carolina
- Indizienlehre von Schwarzenberg
- Gefängnisse
III.
Wirkung der Rezeptionsgesetze von Schwarzenberg
C. Gerichtsorganisatorische
Probleme
I.
Mängel am Richtertum
II.
Entwicklung des Juristenstandes
4.
Abschnitt – Epoche der Rezeption
Als Zeit der Rezeption soll hier die Frühe Neuzeit verstanden
werden, und zwar so, wie die zeitgenössischen Humanisten den
Begriff der "Neuzeit" prägten. Es war die Epoche,
in der die Ablösung vom "finsteren Mittelalter" begann.
Er umfasst den Zeitraum von der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus
(1492) bis etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts und umfasst die Regierungszeit
von drei Kaisern: Friedrich III. (1440-93), Maximilian I. (1493-1519)
und Karl V. (1519-1556).
Das wichtigste Reformereignis war der Reichstag zu Worms (1495).
Auf jenem Reichstag wurden die entscheidenden Weichen für eine
umfassende Reichsreformbestrebung gestellt. Beschlossen wurden der
Ewige Landfrieden, die Errichtung eines ständigen Reichskammergerichts
und eines Reichsregiments.
Behandelt wurden diese Themen bereits im vorhergehenden Abschnitt.
Hier soll nun speziell auf die CCB und CCC eingegangen werden.
A. Das rezipierte Recht (Grundlagen und
Voraussetzungen)
I.
Corpus iuris
Das fremde Recht, dass in dem seltsamen Vorgang der Rezeption[1]
in der Strafrechtspflege Aufnahme gefunden hat, war das Strafrecht,
wie es auf der Grundlage des Corpus iuris[2] von
den italienischen Rechtsschulen fortgebildet worden war. Die Glossatoren
verwendeten neben dem Corpus iuris auch langobardische Rechtsquellen
(Lehnsrecht), italienische Stadtrechte und heimischen Rechtsgebrauch.
II.
Bambergensis und Carolina
Den Geist dieses fremden Rechts spürt man erstmalig in der
Wormser Reformation von 1498, dann in der Bambergischen Halsgerichtsordnung
von 1507 (Constitutio Criminalis Bambergensis - CCB) und der Peinlichen
Gerichtsordnung Kaiser Karls V von 1532 (Constitutio Criminalis
Carolina - CCC).
Die CCB kam den Wünschen der damaligen Zeit nach gründlicher
Reform der Strafrechtspflege nach. Ihre Bestimmungen wurden zum
großen Teil wörtlich in die CCC übernommen und bekamen
Bedeutung für ganz Deutschland. Schwarzenbeck wusste um die
dringende Notwendigkeit einer Reform und so hat er die Ergebnisse
italienischer Strafrechtswissenschaft für seine Heimat nutzbar
gemacht.
Johann
von Schwarzenberg (1463-1528) war zwar kein Gelehrter und beherrschte
auch kein Latein, dafür war er aber Praktiker und als bambergscher
Hofrichter mit dem Recht gut vertraut. Er war sehr religiös
und sein Weltbild war von der Kirche geprägt. Für ihn
war die Freiheit des Willen elementar und damit in der Schuld ein
wesentliches Merkmal der strafrechtlichen Verantwortung.
Als 1507 die CCB fertig gestellt war, erlebte sie eine enorme Beliebtheit.
Nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Landesfürsten
wurde sie freudig aufgenommen. Dies ist nicht weiter verwunderlich,
bedenkt man, dass sie den Zweck verfolgte, einheimische ungelehrte
Schöffen und Urteiler mit der Begrifflichkeit des gemeinen
Rechts vertraut zu machen. Sie war einfach und für jeden verständlich
geschrieben. Von ihrem Aufbau her war sie im Wesentlichen eine Verfahrensordnung,
die aber einige tatbestandliche Definitionen enthielt.
Ihr
folgte nach kurzer Zeit die Constitutio Criminalis Carolina. Auch
hier war wieder Johann v. Schwarzenberg beteiligt. Von 1521 an bildete
die CCB die Grundlage für die Redaktion der Carolina und wird
deshalb als "mater Carolinae" bezeichnet. Nach einigem
Streit mit den Landesfürsten und der Einfügung der sog.
salvatorischen Klausel, (sog. "Clausula salvatoria") wurde
sie 1532 auf dem Reichstag zu Regensburg erlassen. Auch sie erfasst
die bekannten Tatbestände mit scharf umrissenen Definitionen
in volkstümlicher Sprache. Sie entspricht in großen Teilen
der CCB und erreichte eine ebenso große Zustimmung. Ihre erste
Hälfte ordnet den Strafprozess, ihre zweite regelt das materielle
Strafrecht.
Trotz
vieler Gleichheiten bestehen auch Unterschiede. Die Todesstrafe
durfte bei Zauberei nur noch bei schädlichen Folgen verhängt
werden. Mit Rücksicht auf die Reformation war Ketzerei nicht
mehr strafbar. Gestrichen wurden auch die Delikte gegen den Staat,
Körperverletzungen und Beleidigung.
III.
Ziel der Rezeptionsgesetze
Ziel der Rezeptionsgesetze ist es gewesen, die mittelalterliche
Rechtsauffassung weiter zu entwickeln und alte Rechtsauffassungen
zu überwinden. So u.a. die Verstaatlichung der Strafrechtspflege
zu festigen und Reste des Bußenstrafsystems zu entfernen.
Auch sollten die unglaublichen Rechtsunsicherheiten und die Willkür
und die damit entstandenen Schäden beseitigt werden.
IV.
Neue Sicht des Landesfürsten
Diese Tendenz zu einer willkürfreien und gerechten Strafrechtspflege
zeigt sich in der neuen Sicht des Landesfürsten. Sie entstand
aus einer frommen Einstellung heraus. Der Fürst ist Gott dafür
verantwortlich, dass im weltlichen Reich die Guten, d.h. die wahren
Christen, vor dem Bösen geschützt werden. Martin Luther
schreibt darüber: "Der Fürst ist den Bösen gegenüber
Gottes Zorn und Gottes Rute."
V.
Idee der Gerechtigkeit
Die Idee der Gerechtigkeit taucht besonders im Schrifttum auf, als
Leitmotiv obrigkeitlicher Strafrechtspflege, so im Klagspiegel (1425)
und im Laienspiegel (1509).
Auch Schwarzenberg stellt in Art. 125 CCB (104 CCC) die Forderung
an die Richter nach Harmonisierung von Gerechtigkeit und Gemeinnutz
(Zweckmäßigkeit).
B. Das rezipierte Gedankengut
Nicht rezipiert ist der Gedanke, dass Verbrechensbekämpfung
staatliche Aufgabe ist und der Inquisitionsprozess. Rezipiert sind
solche Lehren der italienischen Rechtswissenschaft, die als leitende
Idee die materielle Gerechtigkeit haben.
I.
Materielles Recht
-
Straftatbestände
Die mittelalterlichen Quellen haben sich im allgemeinen damit begnügt,
die einzelnen Verbrechenstypen mit ihren hergebrachten Benennungen
zu bezeichnen, die einzelnen Verbrechenstatbestände wurden
nicht schärfer definiert.
Auch Schwarzenberg hielt sich damit zurück. Er hat sich wohl
darauf verlassen, dass eine hinreichende Klarheit bezüglich
der einzelnen Tatbestandselemente bestehen würde. Es fehlen
damit weiter klare Richtlinien für die Voraussetzung der staatlichen
Strafen.
-
Die allgemeinen strafrechtlichen Fragen
Im Gegensatz zu den einzelnen Straftatbeständen enthalten CCB
und CCC bei den allgemeinen Lehren einen gewaltigen Fortschritt.
•
Schuldprinzip
Schwarzenberg gelang es, dass Prinzip der Schuldhaftung den staatlichen
Strafen zugrunde zu legen und damit die Reste der Erfolgshaftung
und der Ungefährwerke zu beseitigen. Der Schuldbegriff in seiner
ganzen Bedeutung hat er zwar nicht erkannt, aber doch die Problematik,
dass ein irgendwie geartetes Dafür können in jedem Einzelfall
Voraussetzung gerechter Bestrafung ist - Art. 179: "die Jugent
oder anderer sachen halber jre synne nit haben."[3]
Auch
den Versuch einer Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit
wurde unternommen.
CCB und CCC geben zu erkennen, dass Vorsatz einen auf Erfolg gerichteten
Willen erfordert - Ausdrücke wie "bosshaftig", "betrüglicherweise
mit Wissen und Willen", "fürsetzlich" zeugen
davon.
Fahrlässig ist die Tat, wenn sie "ungefehrlich",
"aus unforsicht" oder "doch widder des thäters
willen" geschehen ist.
Schwarzenberg
hat aus religiösen Motiven einen strengen indeterministischen
Standpunkt eingenommen. Die Verantwortung des Täters für
seine Tat begründet sich auf dessen Willenfreiheit und hierin
ist das sittliche Fundament für Schuld und Strafe zu sehen.
Die Strafe ist "nach gelegenheit und gestallt der Personen"
zu bestimmen; Bsp.: Art. 166 CCC: "Stelen in gerechter Hungersnot."[4]
•
Versuch
Der Versuch wird in Anschluss an die italienischen Lehren in seiner
allgemeinen Bedeutung erkannt.
Der strafrechtliche Versuch wird dort angenommen, wo der böse
Wille auf Tatbegehung und Erfolgsherbeiführung gerichtet ist
und in äußerlich sichtbaren Ausführungshandlungen
Gestalt angenommen hat. [5]
•
Mitwirkung mehrerer
In Art. 203 CCB (= Art. 177 CCC)[6] sind Anstiftung
und Beihilfe erkannt und zwar als allgemeines Prinzip für sämtliche
Verbrechenstypen, nicht nur für einzelne konkret.
•
Rechtfertigung und Entschuldigung
Art. 165 CCB (140 CCC)[7] enthält eine Definition
für Notwehr. Notwehrhandlungen sollen keine strafrechtlichen
Rechtsnachteile nach sich ziehen. Sie sind aber nur subsidiäre
Maßnahmen, gegenüber einem Ausweichen und Rufgefährdung.
Bei Tötungsdelikten gibt es die Möglichkeit einer Rechtfertigung
und Entschuldigung bei "Töten eines Ehebrechers auf frischer
Tat" oder "Tötung eines anderen zur Rettung aus Gefahr
für Leib, Leben und Vermögen."
II.
Prozessuales Recht
Im Prozessrecht besteht das Bestreben, den Inquisitionsprozess Form
und Gestalt zu geben, also Ordnung hineinzutragen und zu einem wirklichen
Rechtsverfahren zu machen, dass den Schuldigen bestraft, jedoch
den Unschuldigen vor unverdienten Leiden bewahrt.
-
Wormser Reformation
Allgemeines Ziel der Wormser Reformation war die Ordnung im Inquisitionsprozess.
Mit diesem Begriff wird das Wormser Stadtrecht von 1499 bezeichnet,
das unter sehr starkem römisch-rechtlichem Einfluss stand.
Sie unterscheidet zwischen zwei Verfahren: das Verfahren mit einem
privaten Kläger (Akkusationsprozess) und das amtliche Vorgehen
von Bürgermeister und Rat (Inquisitionsprozess).
Beim
Akkusationsprozess geht es um die Ermittlung der materiellen Wahrheit
- die formalen Beweismittel gelten als überholt. Dem Kläger
fällt die volle Beweislast zu. Auch der Angeklagte hat das
Recht, selbst Beweise für seine Entlastung zu erbringen. Die
Folter darf in diesem Verfahren nicht verwendet werden. Wenn der
Kläger seinen Verdacht nicht voll beweisen kann, ist der Beklagte
freizusprechen. Der Kläger muss dann auch den Beklagten für
alle durch den Prozess erlittenen Schäden entschädigen.
Für
den amtlichen Inquisitionsprozess werden durch die Wormser Reformation
neue Bestimmungen aufgestellt, die den Richtern vorschreiben, wie
er sich an die materielle Wahrheit heran arbeiten soll. Sie unterscheidet
dabei scharf zwischen Urteilsgrundlagen und Folterungsvoraussetzungen.
Die Urteilsgrundlage wird durch den Nachweis derjenigen Tatsachen
(heute: Haupttatsachen) geschaffen, aus denen sich Täterschaft
und Schuld unmittelbar ergeben. Jene anderen Tatsachen (heute: Indizien)
reichen als solche niemals für eine Verurteilung aus, sondern
haben nur als Voraussetzung für die Folter Bedeutung. Diese
Indizien für eine Folterung sind zu einem Katalog von Beispielen
zusammengefasst.
Auch
die Folter selbst wird geregelt. Bestimmte Personengruppen werden
davon ausgeschlossen: Gelehrte, Adel, Amtspersonen, Leute über
80 Jahre. Auch die Reihenfolge wird festgelegt. Bestimmte Rechtsfertigungs-
und Entschuldigungsgründe haben Vorrang.
-
Bambergensis und Carolina
Auch CCB und CCC kennen beide Arten, den Anklageprozess und den
Inquisitionsprozess.
Beide unterscheiden sich aber lediglich in der Möglichkeit
der Prozesseinleitung. Im Gegensatz zur Wormser Reformation machen
CCB und CCC den Ausgang des Prozess nicht davon abhängig, ob
dem Kläger der Schuldbeweis gegen den Beklagten gelingt. Falls
der private Kläger nur Indizien beweisen kann, also nicht die
Täterschaft und Schuld selbst, wird der Beklagte nicht freigesprochen,
sondern vielmehr gegebenenfalls gefoltert. Ist die Klage durch den
privaten Kläger einmal erhoben, so kommt es auf seine Mitarbeit
nicht mehr an. Die Untersuchungen werden von Amts wegen durchgeführt.
Auch
beim Inquisitionsprozess erscheinen die italienischen Lehren. Die
CCB und CCC legen exakt die Fragen fest, unter welchen Voraussetzungen
verurteilt werden darf und unter welchen Voraussetzungen zu foltern
ist. Eine Verurteilung ist nur möglich, wenn der Beschuldigte
ein Geständnis ablegt oder von zwei Zeugen überführt
worden ist. Die Zeugen mussten Augenzeugen sein, bloßes Hörensagen
genügte nicht. War nur ein Zeuge vorhanden oder konnten nur
Indizien bewiesen werden, durfte gefoltert werden.
Ein
Fortschritt war, dass die Folter nun normiert wurde. Art, Intensität
und Dauer stand jedoch weiter im Ermessen des Richters. Art. 58
CCC fordert eine "Ermessung eins guten vernunfftigen richters".
Das
Geständnis musste auf dem endlichen Gerichtstag wiederholt
werden. Verweigerte der Angeklagte die Bestätigung oder widerrief
er, so führte dies gem. Art. 57 CCC zur Fortsetzung der peinliche
Prozess samt der Folter. Beeidigten zwei Schöffen oder der
Richter die Ablegung des Geständnisses, so ordnete Art. 91
CCC die Ratsuche an. Um der Gefahr des Widerrufs zuvorzukommen,
konnte das Geständnis in der Folge durch eine Amtsperson vorgelesen
werden. Trotz dieser Probleme scheute sich die Praxis davor, ohne
Geständnis die ponea ordinaria auszusprechen.
Die
Trennung zwischen dem Richter als Verkünder und den Urteilern
als Rechtsfinder wird aufgehoben. Der Richter erfragt nun das Urteil
nicht mehr von den Schöffen, sondern entscheidet mir ihnen
zusammen (einheitliches Kollegialgericht).
Neben
der Verkündigung des vorher schriftlich verfassten Urteils
fand auch die Vollstreckung auf dem endlichen Gerichtstag statt.
Der Inquisit ist gem. Art. 79 CCC davon drei Tage vorher in Kenntnis
zu setzten, damit er in sich gehe. Auf dem Gang zur Richtstätte
wurde er von Vertretern der Obrigkeit, Amtsleuten, Abordnungen der
Zünfte und der Geistlichkeit begleitet. Auf dem Weg dahin konnte
er bei qualifizierten Todesurteilen geschleift oder mit glühenden
Zangen gezwickt werden. Auch Bittrituale und Gnadenerweise waren
möglich. Etwa wenn eine Jungfrau sich bereit erklärte,
ihn zu heiraten oder der Scharfrichter daneben schlug.
-
Indizienlehre von Schwarzenberg
Nur "redlich anzeigungen", d.h. Indizien von erheblicher
Verdachtsstärke berechtigten zur Folter. Wurde sie ohne solche
Indizien durchgeführt, war das Geständnis für den
Prozess bedeutungslos, es durfte nicht verwendet werden.
Schwarzenberg teilte die Indizien in zwei großen Gruppen auf:
die "gemeinen" Indizien, die sich auf alle Missetaten
beziehen konnten und die "besonderen" Indizien, die sich
nur auf bestimmte Straftaten beziehen.
Die
"gemeinen" Indizien waren in solche unterteilt, die nur
beim Zusammentreffen mit anderen "gemeinen" Indizien zur
Folter berechtigten (kumulativ) und denjenigen, die für sich
alleine (alternativ) zur peinlichen Befragung ausrechten. Indizien
erster Untergruppe waren: böser Leumund ; Beobachtung auf dem
Weg zum Tatort oder dort selbst ; üble Gesellschaft ; feindliche
Einstellung zum Verletzten ; Aussage des Verletzten im Sterbebett
; Fluchtgefahr ; etc. Ein Indiz der zweiten Untergruppe war: am
Tatort wurde etwas vom Verdächtigen gefunden, dass er dort
verloren hatte.
Die
"besonderen" Indizien der zweiten Gruppe betraf einzelne
Missetaten: der des Mordes Verdächtige wird in blutigen Kleidern
angetroffen oder mit Waffen gesehen; die des Kindermords Verdächtige
war vorher schwanger gewesen; der des Raubes Beschuldigte hat gestohlene
Sachen verkauft; etc.
Auch
besondere Regeln für den Richter enthielten CCB und CCC: Nachprüfung
der durch die Folter abgelegten Geständnisse und eine weitere
Befragung "außerhalb der Marter" nach allem Umständen
der Tat ; Angaben des Beschuldigten müssen nachgeprüft
werden, damit die Wahrheit seines Geständnisses mit Sicherheit
feststeht.
Beim
Zeugenbeweis galt: keine unbekannten oder belohnten Zeugen; keine
Zeugen nur vom Hörensagen ; Zeuge soll bei Aussage genau beobachtet
werden ; Verbot der Suggestivfragen[8] .
-
Gefängnisse
Um eine Verfälschung der Wahrheit zu verhindern, sollten Gefangene
getrennt von einander sein, damit Absprachen nicht möglich
waren. Auch sollen die Gefängnisse "nit zu schwerer geuerlicher
peinigung der gefangenen … gemacht … sein" (Art.
11 CCC).
III.
Wirkung der Rezeptionsgesetze von Schwarzenberg
- Obwohl die CCB nur für das Fürstentum Bamberg schaffen
wurde, sind ihre Bestimmungen im Wesentlichen für die CCC übernommen
worden. Schwarzenberg gehörte von 1522 - 24 zum "Reichsregiment"[9]
.
-
1530 wurde die CCC auf dem Augsburger Reichstag beschlossen. Widerstand
kam von den Städten und einigen Territorialstaaten - sie wollten
ihr altes Rechts behalten. Besonders die Städte lehnten auf
ihrem Städtetag die CCC ab und hielten am Leumundsverfahren
und dem alten Inquisitionsprozess fest, denn sie bevorzugten den
bisherigen "kurzen" Prozess.
Daraufhin wurde auf dem Reichstag von 1532 die sog. "Clausula
salvatoria" eingeführt. Die CCC galt damit nur noch subsidiär
gegenüber dem bisherigen Recht.
-
Im Strafprozess bindet Schwarzenberg die Richter an die "geformten
Normen" und nimmt das Ermessen ab. Die damit verbundenen längeren
Prozesse sollen im Ringen um Wahrheit und Gerechtigkeit hingenommen
werden.
C. Gerichtsorganisatorische Probleme
I.
Mängel am Richtertum
Es gab keine Richter oder Schöffen, die gelernte Juristen waren
und die die CCC anwenden konnten. Die CCC behob diese Manko mit
dem "Rat der Rechtsverständigen" an Juristenfakultäten
und Oberhöfen bei den Landesherren und dem Institut der Aktenversendung.
Stelle ein Richter fest, dass die Sache über sein Verständnis
geht, so sendet er die Akte an die Rechtsverständigen mit der
Bitte um Rat.
II.
Entwicklung des Juristenstandes
Der Juristenstand entwickelte sich dadurch, dass deutsche Männer
zum Studium der Rechte an italienischen Universitäten gingen
und anschließend zurückkamen. Als "gemietete Doktoren"
wurden sie in den Dienst der Landesherren übernommen, wurden
so als Kanzler und Räte und an Hof- und Kammergerichten tätig.
Auch im Stadtmagistrat und Ratsgremien tauchten sie bald auf. Befeindet
und kritisiert wurde der Juristenstand von den territorialen Ständen,
dem Adel, den sie als wichtigsten Ratgeber bei den Landesfürsten
verdrängten. Juristen und Professoren kamen zu hohem Ansehen.
[1]
Receptio, receptes - (lat.) wiederaufnehmen, Wiederaufnahme
[2] Das Corpus iuris ist ein Kodifikation
des oströmischen Kaisers Justinian (+ 565). Der Namen entstammt
Rechtsgelehrten aus dem 16. Jahrhundert. Das Gesamtwerk enthält
drei Teile: Institutionen, Digesten (Pandekten) und Codex. Die Institutionen
bestehen aus einem systematischen Elementarlehrbuch. Digesten oder
Pandekten enthalten Zitate der klassischen römischen Juristen
(Ulpian, Papinian, etc.) und der Codex sind Gesetze verschiedener
römischer Kaiser.
[3] 179 [Von übelthättern die
jugent oder anderer sachen halb, jre sinn nit haben] Item wirt von
jemandt, der jugent oder anderer gebrechlicheyt halben, wissentlich
seiner synn nit hett,eyn übelthatt begangen, das soll mit allen
vmstenden, an die orten vnnd enden, wie zu ende diser vnserordnung
angezeygt gelangen, vnnd nach radt der selben vnd anderer verstendigen
darinn gehandelt odergestrafft werden.
[4] 166. [Stelen inn rechter hungers nott]
Item so jemandt durch recht hungers not, die er, sein weib oder
kinder leiden, etwas von essenden dingen zu stelen geursacht würde,
wo dann der selb diebstall tapffer groß vnd kündtlich
wer, sollen abermals richter vnd vrtheyler (als obsteht) radts pflegen.
Oder aber der selbigen dieb einer vnsträfflich erlassen würd,
soll jm doch der kläger vmb die klag, deßhalb gethan
nichts schuldig sein.
[5] Art. 204 CCB (178 CCC) - [Straff vnderstandner
missethatt] Item so sich jemandt eyner missethatt mit etlichen scheinlichen
wercken, die zu volnbringung der missethatt dienstlich sein mögen,
vndersteht, vnnd doch an volnbringung der selben missethat durch
andere mittel, wider seinen willen verhindert würde, solcher
böser will, darauß etlich werck, als obsteht volgen,
ist peinlich zu straffen, Aber inn eynem fall herter dann inn dem
andern angesehen gelegenheit vnd gestalt der sach, darumb sollen
solcher straff halben die vrtheyler, wie hernach steht, radts pflegen,
wie die an leib oder leben zuthun gebürt.
[6] [Von straff der fürderung, hilff
vnd beistand der mißthätter] Item so jemand eynem mißthätter
zu übung eyner mißthatt, wissentlicher vnd geuerlicher
weißeinicherley hilff, beistandt oder fürderung, wie
das alles namen hat, thut, ist peinlich zu straffen, als abervorsteht,
inn eynem fall anderst dann inn dem andern, darumb sollen inn disen
fellen, die vrtheyler mitberichtung der verhandlung, auch wie solchs
an leib oder leben soll gestrafft werden, als obsteht radtspflegen.
[7] [Was eyn recht notweer ist] Item so
eyner mit eynem tödtlichen waffen oder weer überlaufft,
anficht oder schlecht, vnd der benöttigtkan füglich an
ferlichkeyt oder verletzung, seines leibs, lebens, ehr und guten
leumuts nicht entweichen, dermag sein leib vnnd leben on alle straff
durch eyn rechte gegenweer retten, Vnd so er also den benötigerentleibt,
er ist darumb nichts schuldig, ist auch mit seiner gegenweer, biß
er geschlagen wirdt zu warten nitschuldig, vnangesehen ob es geschriben
rechten vnnd gewonheyten entgegen wer.
[8] Durch Suggestivfragen soll der Zeuge
zu einer vom Fragenden gewollten Antwort provoziert werden. Suggestivfragen
sind also keine tatsächlichen Fragen, sondern Aufforderung
dazu, die gestellte Frage in vorgegebener Weise zu beantworten.
Sie sind geprägt durch ihre Manipulationsabsicht: "Sie
waren doch an dem Ort und haben den Beschuldigten dort gesehen?"
Die Antwort ist bereits mehr oder weniger in der Frage enthalten.
[9] Als Reichsregiment wurden die in den
Jahren 1500 und 1521 gebildeten ständischen Regierungsorgane
bezeichnet, die dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation
eine einheitliche politische Führung unter Beteiligung der
Fürsten geben sollten. Beide setzten sich aus dem Kaiser und
20 - später 22 - Vertretern der Reichsstände zusammen.
Die Schaffung eines funktionstüchtigen Reichsregiments war
der zentrale Punkt der Reichsreform. Sie scheiterte beide Male am
Widerstand des Kaisers und an den divergierenden Interessen der
Fürsten.
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